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Ausstellung im Marburger Rathaus und in der Innenstadt
09. November 2021 - 14. November 2021

In Marburg ist die Freiwillige Feuerwehr mit ihren 16 Stadtteilwehren eine feste Größe. Doch nach ihrer Geschichte befragt, wissen nur wenige Feuerwehrkameradinnen und -kameraden etwas zu berichten. Noch gleicht die Vergangenheit der Marburger Feuerwehr einem Puzzle, dem noch viele Teile fehlen. Viele der fehlenden Puzzleteile betreffen insbesondere die Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft.

Um diese Lücken zu füllen, haben der Deutsche Feuerwehrverband und das Deutsche Feuerwehr-Museum in Kooperation mit der Justus-Liebig-Universität Gießen das bundesweite Projekt „Das Dritte Reich und wir“ ins Leben gerufen. Es möchte die Freiwilligen Feuerwehren bei der Aufarbeitung ihrer Vergangenheit unterstützen. Maßgeblich gefördert durch das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat haben engagierte Marburger Feuerwehrkräfte in diesem Projekt das Handwerkszeug erlangt, um eigenständig die Geschichte ihrer Wehr vom Staub der Vergangenheit zu befreien. In mehreren Workshops wurden die Teilnehmenden mitgenommen und aktiv forschend in die Aufarbeitung einbezogen. Ziel war: Nicht von oben herab sollte die Geschichte erklärt, sondern aus dem Kreis der Feuerwehrleute heraus erarbeitet und präsentiert werden.

Und tatsächlich konnten die Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr Marburg durch ausdauernde Forschung und intensive Recherche neue Erkenntnisse zur Geschichte ihrer Wehr während des Nationalsozialismus an die Oberfläche bringen. Durch historische Dokumente sowie anhand von Fotografien und Objekten haben sie die Vergangenheit Stück für Stück rekonstruiert und sie in der Ausstellung „Als die Feuerwehrautos tannengrün wurden: Die Feuerwehr Marburg in der NS-Zeit“ zusammengefasst.

  • Feuerwehr

Eine „urdeutsche“ Organisation

In ganz Deutschland gibt es gegenwärtig über 20.000 Freiwillige Feuerwehren. Sie alle blicken auf eine eigene Tradition und eine eigene Geschichte zurück. Entwickelt haben sie sich vor ungefähr 150 Jahren aus bürgerlich-mittelständischen Vereinen, in denen sich Handwerker, Kaufleute und Händler zusammentaten – aus Gemeinschaftssinn und zur dringenden Verbesserung des Brandschutzes in ihren Gemeinden. Diese Herkunft teilt auch die 1861 gegründete Freiwillige Feuerwehr Marburg.

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts sprossen überall in den damals deutschen Gebieten nicht nur Freiwillige Feuerwehren aus dem Boden, sondern eine ganze Reihe von politisch engagierten, gemeinschaftlichen und wohltätigen Organisationen. Irgendwann gehörte es in der bürgerlichen Mittelschicht zum guten Ton, eine Mitgliedschaft in einer solchen Organisation vorzuweisen. Selbstverständlich galt dies auch für die immer besser in die Gesellschaft integrierten Bürger jüdischen Glaubens.

In der Freiwilligen Feuerwehr Marburg gab es jedoch wohl nicht sehr viele jüdische Feuerwehrkameraden. Einer davon war der Schuhkaufmann Elias Eliyahu Goldschmidt. Er war Inhaber und Geschäftsführer des Schuhgeschäfts „Frankfurter Schuhlager“ am Marburger Steinweg. Die Geschichte dieses engagierten Marburgers, der während des Nationalsozialismus entrechtet und in die Auswanderung gedrängt wurde, hat die Freiwillige Feuerwehr Marburg im Rahmen der Projektarbeit zu „Das Dritte Reich und wir“ nachgezeichnet. Dabei ist sie auch der Frage nachgegangen, welche Schnittstellen es überhaupt zwischen der Geschichte der „urdeutschen“ Feuerwehren und der Geschichte jüdischen Lebens in Deutschland gab.

Instrumentalisiert und technisch hoch gerüstet

Während die jungen Freiwilligen Feuerwehren bis weit in das 20. Jahrhundert noch mit einfachsten Mitteln gegen Brände vorgingen, wurden die Gerätschaften im Laufe der Zeit immer komplexer und leistungsfähiger. So war die Freiwillige Feuerwehr Marburg bereits in den 1930er-Jahren eine technisch verhältnismäßig gut ausgestattete Einsatzorganisation.

Die Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 ging an den Freiwilligen Feuerwehren nicht spurlos vorüber. Von Massenorganisationen, die sich dem Schutz des Nächsten verpflichtet hatten, wurden die Feuerwehren recht schnell im nationalsozialistischen Sinne umgewandelt und ohne großen Widerstand zu Instrumenten der verbrecherischen NS-Politik.

Mit ihrer leistungsfähigen Ausstattung wurden die Kräfte der Freiwilligen Feuerwehr Marburg durch regelmäßiges Üben und durch die Erfahrung der Einsätze gleichzeitig zu regelrechten Meistern ihres Gebiets. So konnten sie ausgestattet mit Frischluftgerät, Tragkraftspritze und Heeresatmer am Ende der 1930er-Jahre bereits gegen beinahe jeden Brand vorgehen. Doch trotz dieser exzellenten Ausstattung blieb die Freiwillige Feuerwehr Marburg untätig, als in der Nacht auf den 10. November 1938 die Synagoge brannte. Eine Erklärung dafür versucht die Ausstellung „Als die Feuerwehrautos tannengrün wurden – Die Feuerwehr Marburg in der NS-Zeit“ zu liefern. Darüber hinaus informiert sie über die Ausstattung der Brandschützer in den 1930er-Jahren und zeigt historische Einsatzgeräte.

 

  • LGG
  • Maske
  • Synagogenbrand

Feuerwehr bleibt untätig

Als am frühesten Morgen des 10. November 1938 die Marburger Synagoge in Brand geriet, erschien die Freiwillige Feuerwehr nicht. Obwohl das lodernde Feuer den nächtlichen Himmel über der Stadt glühend rot färbte, gab es keinen Feueralarm, kein Löschversuch wurde unternommen. Was war geschehen?

Nach dem 8. November 1938 kam es im gesamten Deutschen Reich zu gewaltsamen antisemitischen Ausschreitungen. Anlass der staatlich gesteuerten Pogrome war das Attentat eines jüdischen Polen auf einen deutschen Diplomaten in Paris. Wie vielerorts setzen SA-Männer in der Nacht zum 10. November 1938 auch die Marburger Synagoge in Brand. Obwohl der Brand nicht zu übersehen war, blieben die Marburger und ihre Freiwillige Feuerwehr untätig. Warum nur griff niemand ein, um das Gotteshaus in der Universitätsstraße zu retten? Die Ereignisse dieser verhängnisvollen Nacht werden in der Ausstellung in Form eines News-Tickers wiedergegeben.

Die Feuerwehr im Bombenhagel

Als der Zweite Weltkrieg auf die damals deutschen Gebiete zurückfiel, litt insbesondere die Zivilbevölkerung darunter. In den großen Städten und Industriezentren waren es die anhaltenden Bombardierungen, im übrigen Land der umgreifende Mangel an Versorgungsgütern.

In dieser Situation waren die Feuerwehren besonders gefragt. In mutigen Einsätzen versuchten sie Menschenleben und Sachwerte vor der Wirkung der Bomben zu beschützen. Auch die Freiwillige Feuerwehr Marburg war in dieser Situation sehr gefordert. In zahlreichen Einsätzen kam sie der betroffenen Bevölkerung weit über die Grenzen Marburgs hinaus in Kassel, Gießen und Frankfurt zu Hilfe.

Anhand authentischer Farbfotos können nun die sogenannten Überlandeinsätze der Freiwilligen Feuerwehr Marburg rekonstruiert und der Einsatzalltag der Feuerwehrkräfte nachvollzogen werden.

  • Einsatz1
  • Einsatz2

Die Feuerwehr im Zeugenstand

Die Brandstiftung in der Marburger Synagoge blieb lange ungesühnt. Niemand interessierte sich dafür, wer die Synagoge wirklich angezündet hatte. Erst 1947, zwei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, versuchte ein Gerichtsprozess Licht in das Dunkel zu bringen.

Im Laufe dieses Gerichtsprozesses wurden Zeugen befragt, Verdächtige vernommen und auch die Rolle der Freiwilligen Feuerwehr Marburg analysiert. Die Zusammenhänge haben nun die Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr Marburg rekonstruiert. Ihre Ergebnisse stellen sie in der Ausstellung „Als die Feuerwehrautos tannengrün wurden: Die Feuerwehr Marburg in der NS-Zeit“ vor.

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